Thilo Reimers Rechtsanwalt, Dipl. Volkswirt, Würzburg

Die Todesstrafe verwalten

Mangels einer neuen Kategorie steht der Artikel unter “skurriles”. Dem Inhalt nach hat er dort nichts zu suchen!

Manchmal kommt man als Anwalt auf seltsamen Wegen zu seltsamen Fällen.

Ich traf Frau Jentzsch mehr oder weniger zufällig bei einer Bekannten meiner inzwischen verstorbenen Oma. Als sie hörte, dass ich Anwalt sein, erzählte sie mir die unglaubliche Geschichte ihres Mannes. Die Geschichte war für einen Nachkriegsgeborenen nicht glaubhaft. Die Frau hatte aber Originaldokumente. Diese gab sie mir zum Kopieren. Verständlicherweise wollte sie die Dokumente wieder haben.

Ihr am 02.12.1909 geborener Mann wurde vom Volksgericht 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nach dem Tode von Mussolini hatte er in seiner Werkstatt erklärt, dass auch das Ende des Nationalsozialismus absehbar sei. Das hat für die Todesstrafe genügt. Dass so was passiert ist, ist bekannt.

Was einen wirklich entsetzt ist, dass der Witwe auch noch die Kosten der Strafvollstreckung, also für das Erschießen ( 158,18 RM ) sowie die Haftkosten und eine Gebühr für die Todesstrafe in Rechnung gestellt wurden.

Die Witwe wurde im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens nach dem Krieg tätig. Meiner Erinnerung nach hat sie diejenigen, die ihren Mann damals - möglicherweise auch den Staatsanwalt - angezeigt. Das ganze fand in einem provisorischen Gericht hier in Würzburg statt. In der Sache erfolgte keinerlei Verurteilung. Die damaligen Richter erklärten Frau Jentzsch: Es seien schwierige Zeiten gewesen, in denen andere Regeln geherrscht hätten, da habe man zu akzeptieren. Leider hatte sie zu diesem Verfahren keine schriftlichen Unterlagen mehr.

                          I.

Schreiben der Rechtsanwälte Sebastian Rösser und Dr. Jos. Haubach vom 23.11.1943 Domerschulstr. 9, Würzburg

Frau Elise Jentzsch, Schlosserwitwe, Trennfurt bei Klingenberg

In der Strafsache gegen Ihren Ehemann Georg Jentzsch bestätigen wir nachträglich den Erhalt Ihres Schreibens vom 28.10.43. Vorher hat uns bereits der Oberreichsanwalt vom Volksgerichtshof Berlin mit Schreiben vom 20.10.43 folgendes mitgeteilt:

In der Strafsache gegen Jentzsch teile ich mit, dass der 1. Senat des Volksgerichtshofes am 23.Sept. 43 für Recht anerkannt hat: Georg Jentzsch hat in seinem Industriewerk trotz Warnungen u. Mahnungen defaitiutische Bemerkungen gemacht, z. B. gesagt, nach Mussolini u. dem Faschismus komme der Nationalsozialismus und der Führer dran; u. jetzt müssten die braunen Uniformen abgelegt werden. Er hat dadurch die ganze Werkstatt durcheinander gebracht. Damit hat er unserem Kriegsfeind geholfen und sich für immer ehrlos gemacht. Er wird mit dem Tode gestraft. Das Urteil ist bereits vollstreckt worden. Dem Verurteilten war als Pflichtverteidiger Herr Rechtsanwalt F. M. Manthey in Berlin-Pankow, Breitestr. 39b, beigeordnet worden.

Nun betrachten wir die Sache für erledigt. Für unsere Verbeistandung in dieser Sache erachten wir ein Gesamtvertretungshonorar von RM 50,- für angemessen und hoffen wir Sie damit einverstanden und ist dieses Honorar durch Ihre Kostenvorschusszahlung vom 20.9.43 bezahlt, sodass die ganze Angelegenheit erledigt ist. Rechtsanwälte Sebastian Rösser u. Dr. Jos. Haubach

                        II.

v.Strafanstalte-Pfarrer bei der Strafanstalt Brandenburg (Havel)=Görden Brandenburg (Havel-Görden) v. 19.10.43, Winterfeldallee 22

Sehr geehrte Frau Jentzsch !

Ihr Ehemann Georg Jentzsch hat mich gebeten, Ihnen seine letzten Grüße und Wünsche zu übermitteln. Er ist gestern hier, getröstet durch Gottes Wort, ruhig und gefaßt in den Tod gegangen. Von Ihnen und den Kindern sprach er mit großer Liebe und Anhänglichkeit. Sie möchten Ihn in gutem Andenken behalten. Sein letzter Wunsch war, daß Sie für eine ordentliche Beisetzung seiner Asche auf dem hiesigen Urnenfriedhof sorgen möchten. Nach dem Kriege können Sie die Urne dann in die Heimat überführen lassen. Falls Sie seine letzte Bitte erfüllen wollen, müssen Sie sich mit einem Antrag auf Freigabe der Urne zur Beissetzung in einem Reihengrabe an die Ortspolizeibehörde in Brandenburg (Havel), Rathaus, wenden.

Ich spreche Ihnen meine Teilnahme an Ihrem Leid aus.

Mit stillem Gruß !

Bartz, Pfarrer.

                          III.

Reichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof Geschäfts-Nr. 2 J 505/43

In der Strafsache Jentzsch wegen Feindbegünstigung

Gegenstand des Kostenansatzes und Hinweis auf die angewandte Vorschrift

A. Gebühr gem. § 49,52 d. GKG für Todesstrafe       RM 300,— B. bare Auslagen: Zeugen- und Sachverständigengebühren gem. § 724 d. GKG
RM 287,50 Gebühr gemäß § 726 d. GKG für den als Pflichtverteidiger bestellt gewesenen Rechtsanwalt Mathey in Berlin-Pankow       RM   81,68 Haftkosten gemäß § 728 d. GKG f. d. Zeit vom 21.9-18.10.43
RM   40,50 ( 27 Tage zu 1,50 RM ) Kosten der Strafvollstreckung       RM 158,18

                                                    

RM 867,86

Gerichtskasse Berlin N. W. 40 den 27.10.1943 Moabit, Turmstrasse 91, Fernsprecher 3567 cl, P.S.A. Bln. 34 564, Kassenzeichen 4022 43.

Sie werden ersucht, die umstehend berechnete Kostenschuld von RM 867,86 binnen einer Woche postgebührenfrei einzuzahlen oder zu überweisen.