Thilo Reimers Rechtsanwalt, Dipl. Volkswirt, Würzburg
Hinweispflicht von Gerichten und rechtliches Gehör (Art. 103 GG)
Entscheidung des OLG Bamberg vom 9.3.2000 zur Hinweispflicht von Gerichten. Weitere (zweite) Hinweispflicht, insbesondere nach lediglich pauschalem Hinweis. AZ: 1 U 139/99
Die Parteien streiten über die Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Kläger /Versicherungsnehmer schloss mit der Beklagten am 1.10.93 einen Versicherungsvertrag. Es handelt sich um eine Kapitalversicherung mit Überschussbeteiligung, in welchem eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung eingeschlossen ist. Am 7.5.96 stürzte der Kläger bei Schweißerarbeiten an einem Kamin. Damit wurden sein bereits vorgeschädigtes linkes Kniegelenk verletzt.
Der Kläger brachte in erster Instanz vor, durch den am 7.5.96 erlittenen Unfall berufsunfähig geworden zu sein. Er hat behauptet als Schweißer in der Montage und Demontage beschäftigt gewesen zu sein. Mit Helfern habe er bei Auftraggebern unterschiedlichste Schweißerarbeiten an Maschinen,Leitungen und Balkonen ausgeführt. Teilweise in 20 m Höhe, teilweise in engen kilometerlangen Schächten. Die mitgeführten Geräte seien bis zu 4 Zentner schwer. Zu den beruflichen Qualifikationen hat der Kläger auf Suchanzeigen des Schweinfurter Tagesblatts verwiesen.
Der Kläger hat beantragte: 1. Die Beklagte zu verurteilen an den Kläger DM 93.000,—zu bezahlen. 2. Die Beklagte zu verurteilen jeweils zum 1.1, 1.4, 1.7, 1.10 eines Jahres, beginnend mit dem 1.4.99 einen Betrag von DM 7.537,—zu bezahlen.
Weiter festzustellen, dass der Kläger aus dem Versicherungsvertrag von seiner Beitragspflicht freigestellt ist.
Die Beklagte hat in 1. Instanz unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 BUZ, sowie die besonderen Vereinbarungen zur Berufsunfähigkeitzusatzversicherung, die Berufsunfähigkeit abgelehnt. Sie hat die Ausführungen des Klägers zu seiner beruflichen Tätigkeit für unsubstantiiert gehalten und im übrigen die Tätigkeitsbeschreibung, sowie die Hinweise zur beruflichen Qualifikation mit Nichtwissen bestritten.
Das Landgericht hat im Termin am 16.6.99 darauf hingewiesen, dass der Kläger seine letzte Berufstätigkeit konkret unter Beweisantritt darlegen müsse. Innerhalb eines Schriftsatzesnachlasses bis zum 7.7.99 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 2.7.99 und 6.7.99, eingegangen bei Gericht, seinen beruflichen Werdegang dargestellt. In der öffentlichen Sitzung am 4.8.99 hat der Klägervertreter die Bestellung des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin Nürnberg/Erlangen zum Sachverständigen angeregt. Mit Schriftsatz vom 20.9.99 hat der Kläger für die 1. Instanz Prozeßkostenhilfe beantragt und für den Fall, dass das Gericht weitere Darlegungen oder Beweisantritte für erforderlich halte, um eine Auflage gebeten.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 6.10.99 - für alle Prozeßbeteiligten überraschend - die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der Kläger sei seiner Vortragslast zur Berufsunfähigkeit - nach pauschalem Hinweis des Gerichts - nicht ausreichend nachgekommen, weil die Angaben des Klägers hinsichtlich seines Tätigkeitsfeldes noch kein hinreichend klares Bild ergeben würden. Auch seien die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht ersichtlich. Ferner seien die Schweißerarbeiten nicht konkret genug beschrieben.
Gegen dieses Urteil habe ich fristgemäß Berufung eingelegt.
Darin habe ich ausgeführt, dass das Landgericht auf 3 Seiten die letzte Berufstätigkeit des Klägers dargestellt habe. Vor Urteilserlass hätte ein Hinweis in Auflagenbeschluß erlassen werden müssen, wenn dies noch kein klares Bild ergeben hätte.
Die Beklagte beantragte die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigte das angefochtene Urteil und meint, dass bei 2- 5 Mitarbeitern es nicht verständlich sei, dass nur der Kläger die Schweißerarbeiten durchführe, auch seien die Tätigkeitsbeispiele des Klägers zu pauschal, schließlich fehle auch eine Ausführung dazu, weshalb der Kläger Verrichtungen, die ihm gesundheitlich schwerfielen nicht seinen Mitarbeitern übertragen könne.
Die von mir geführte Berufung hatte Erfolg.
Das OLG führt in seinen Gründen aus, dass das Verfahren vor dem Landgericht an einem wesentlichen Verfahrensmangel leide, da dem Kläger nicht das nach Artikel 103 Abs, 1 GG zu gewährende rechtliche Gehör gewährt wurde. Dieser im GG verankerte Anspruch verfolge den Zweck, dass der Rechtssuchende vor ein er Entscheidung, die seine Sache betrifft gehört wird, um Einfluß auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. An einer solchen Gelegenheit fehlt es nicht erst dann, wenn der Kläger gar nicht zu Wort gekommen ist. Eine dem verfassungsrechtlichem Anspruch genügend Gewährung rechtlichen Gehörs setze voraus, dass der Kläger bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Artikel 103 Abs. 1 GG verlangt zwar grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist ( Bundesverfassungsgericht NJW 871192 ) ihm ist auch keine allgemeine Frage und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen ( Bundesverfassungsgericht NJW 1984 S. 1741, 1745 ). Es kommt jedoch im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrages gleich,wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen braucht. So lag hier der Fall. Das Landgericht stellte bei der Klagabweisung auf ein unsubstantiierten Sachvortrag des Klägers zum konkreten Ausgestaltung seiner Tätigkeit ab, ohne vorher den Kläger auf die nach Ansicht des Gerichts fehlenden Angaben zur Klarheit des Tätigkeitsbildes, dem eigenen Umfang der handwerklichen Tätigkeit bei Zeugnis 5 Mitarbeitern und den Delegationsmöglichkeiten hinzuweisen. Der rechtliche Hinweis in der Sitzung vom 16.6.99 ändert daran nichts, weil der klägerische Vortrag mit Schriftsatz vom 2.7.99 und 10.8.99 eine neue Prozeßlage geschaffen habe.
Denn spätestens nach Kenntnis vom Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 2.8.99 und der dort zitierten einschlägigen Rechtssprechung, war dem Kläger bekannt, dass die für ihn anfallenden beruflichen Leistungenn nach ihrer Art, ihrem Umfang, wie ihre Häufigkeit für einen Außenstehenden nachvollziehbar darzustellen sind. Aus Sicht des Klägers durfte er darauf vertrauen, diese Anforderungen erfüllt zu haben, nachdem im Termin vom 04.08.99 über einen geeigneten Sachverständigen für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit im privatversicherungsrechtlichen Sinne gesprochen worden war, und der Kläger auch auf seinen Schriftsatz vom 20.09.99 hin keine Auflage des Gerichts zur Darlegungs- und Beweisantrittsbedarf erhielt, obwohl der Kläger für diesen Fall, dass das Gericht weitere Darlegungen für erforderlich halte, ausdrücklich um eine entsprechende Entscheidung gebeten hat.
Meine Ausführungen zur konkreten Ausgestaltung der vom Kläger zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls ausgeübten Berufs und zu den daraus folgenden Anforderungen, seien mit Blick auf das hier zu prüfende rechtliche Gehör mit der erforderlichen Sorgfalt zusammengestellt worden. Denn die Berufstätigkeit des Klägers ist beschrieben als die eines Spezialisten für Schweißerarbeiten, der ohne eigene Betriebsstätte seiner Mitarbeiter und seinem Werkzeug mit einem Lkw zu wechselnden auswärtigen Einsatzorten verbracht und dort die Auftragsarbeiten ausgeführt hat. Entscheidend für die Auftraggeber sind die dabei die Schweißarbeiten des Klägers gewesen, dide teils mit schweren körperlichen Einsatz, teils in großer Höhe, teils in eigenen Schächten an vorgefertigten Teilen bei der Montage und Demontage, beim Verlegen von Leitungen und beim Anbringen von Balkonen zu erbringen waren. Soweit das Landgericht dem Urteil geforderten Konkretisierungen für notwendig gehalten hat, sind diese Anforderungen an den Sachvortrag, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht mehr rechnen brauchte.
Von einer Entscheidung in der Sache selbst nach § 540 ZPO sah der Senat ab, da eine größere Beweisaufnahme stattzufinden habe und diese grundsätzlich der 1. Instanz obliege. Den � Parteien solle keine Instanz verloren gehen.
Der Sache nach hat das OLG die bestehende Rechtssprechung zur Hinweispflicht von Gerichten weiter verfolgt und klargestellt, dass auch nach einem ersten - hier einigermaßen pauschalen Hinweis - des Gerichts, ein weiterer Hinweis nach neuem Sachvortrag jedenfalls dann folgen muss, wenn ein gewissenhafter Prozeßbeteiligter nicht davon ausgehen konnte, dass hier Sachvortrag fehle. Da ich das berufliche Umfeld des Klägers über mehrere Seiten hinweg beschrieben hatte, war die Enscheidung des LG einigermaßen überraschend. Auch das Verhalten des LG lies eine solche Entscheidung zu keinem Zeitpunkt erwarten. Warum hier die Entscheidung des LG so erfogt war, war weder für die beteiligten RAé noch für das OLG erkennbar.
Man kann nur froh sein das derzeit die ZPO Berufungen (noch?) zulässt, da den Obergerichten mitunter - so jedenfalls hier - der Blick fürs wesentliche nicht verstellt ist.
Entscheidung vom 9.3.2000
Tel: 0931 - 40 51 58